Seit einigen Wochen breitet sich das als Vogelgrippe bekannte Virus H5N1 entlang der Nordseeküste aus. In noch nie da gewesenem Ausmaß sind aktuell Brandseeschwalben betroffen, doch unter den Opfern sind auch andere Vogelarten.
Als Koloniebrüter sind Brandseeschwalben scheinbar besonders anfällig für eine schnelle Ausbreitung des Virus. Die Kolonie auf der niederländischen Insel Texel hat sich nach hohen Todeszahlen aufgelöst, weitere Brutplätze auf Balturm und Langeoog sind ebenfalls stark geschrumpft. Die größte Kolonie im niedersächsischen Wattenmeer befindet sich auf unserer Vogelschutzinsel Minsener Oog, wo das Virus ebenfalls für dramatische Zustände sorgt. Die Kolonie wird auf etwa 6.000 Vögel geschätzt, die Todeszahlen auf der Insel belaufen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf über 1.000 Individuen. „Bei den Kontrollgängen am Oststrand der Insel finden wir täglich neue Totvögel“, berichtet die Naturschutzwartin von Minsener Oog Viola Strassner. Ebenfalls betroffen sind die Flussseschwalben auf Minsener Oog. In der kleinen Kolonie sind schon 40 Opfer zu beklagen.
Beide Arten finden sich auf der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands wieder und sind als stark gefährdet bzw. vom Aussterben bedroht eingestuft. Die aktuellen Ereignisse werden einen starken Rückgang der Bestände der beiden Seeschwalbenarten nach sich ziehen.
Fest steht schon jetzt, dass der Bruterfolg in diesem Jahr verschwindend gering sein wird. Dies verdeutlichen Vergleichsbilder (s. u.) aus der aktuellen Brutperiode. Zu sehen ist der Zustand eines Kolonie-Teils der Brandseeschwalben auf Minsener Oog kurz nach Beginn des Ausbruchs am 03.06.22 (links) und nur drei Wochen später (rechts). In einer normalen Brutsaison würden sich die Bilder nur durch die zusätzliche Anwesenheit Hunderter Jungvögel unterscheiden.
Ebenfalls zu beklagen ist der Tod dutzender Lachmöwen, welche ebenfalls auf Minsener Oog brüten. Leider finden sich in den letzten Tagen auch vermehrt andere Arten unter den Todesopfern. Eiderenten, Austernfischer, Basstölpel und Heringsmöwen sind dem Virus vermutlich ebenfalls zum Opfer gefallen. Laboruntersuchungen stehen zwar noch aus, allerdings konnten bei einigen Arten die bekannten Symptome wie Kopfzucken oder im Kreis drehen, beobachtet werden. Auch tote Prädatoren, wie Dohle und Wanderfalke wurden auf Minsener Oog entdeckt.
Aus unseren Schutzgebieten Wangerooge und Mellum lässt sich Stand heute vermelden, dass es noch keine Anzeichen für eine Ausbreitung in dortigen Kolonien gibt.
Merkbar ist das massenhafte Sterben dennoch, da an den Stränden auffällig viele tote Vögel zu finden sind. So werden seit einigen Tagen neben Brandseeschwalben vermehrt tote Basstölpel angespült. Deren Herkunft ist zwar noch nicht geklärt, der Biologe des Vereins Jordsand auf Helgoland Elmar Ballstaedt vermutet jedoch, dass die Vögel zu Teilen von dort stammen können.
Die Vogelgrippe ist kein neues Phänomen im Wattenmeer, jedoch fanden bisherige Virus-Ausbreitungen nur in den Wintermonaten statt. Ein Ausbruch während der Brutvogelsaison stellt somit ein Novum dar, bei dem es leider keinerlei Möglichkeiten gibt, der Verbreitung oder dem Sterben etwas entgegenzusetzen. „Nun wird erneut klar, wie anfällig grade Arten sind, deren Lebensräume in den letzten Jahrzehnten stark zurückgedrängt wurden, da sie kaum die Möglichkeit haben, dem Virus großräumig auszuweichen“, erklärt der Referent für Öffentlichkeitsarbeit Matthias Feldhoff das aktuelle Vogelsterben in der Nordsee.
Da sich mittlerweile an der gesamten Küstenlinie, ob an Stränden, Deichen oder Häfen tote Vögel finden lassen, müssen wir an dieser Stelle nochmals ausdrücklich davor warnen, mit diesen Tieren in Kontakt zu kommen. Den erkrankten Vögeln ist leider nicht zu helfen. Daher halten Sie bitte Abstand und lassen Sie die Tiere in Ruhe sterben, ohne sie zusätzlichem Stress auszusetzen. Das Risiko der Übertragung des Virus auf den Menschen gilt als äußerst gering, dennoch sollte an dieser Stelle Vorsicht walten.
Sie können tote Vögel im Internet auf Portalen wie Ornitho.de oder Beachexplorer.org melden, um Naturschutzverbänden und Behörden zu helfen, den Überblick über die Lage zu behalten.