Ahrensburg. 27.11.2023. Der Verein Jordsand hat den Sterntaucher (Gavia stellata) zum Seevogel des Jahres 2024 gekürt. Der kleinste Vertreter der Seetaucherarten verdankt seinen Namen den weißen sternchenartigen Sprenkeln auf dem grauen Gefieder seines Winterkleides und seiner Nahrungssuche: von den Füßen propellerartig angetrieben, taucht er auf der Suche nach fettreichen Fischarten durchs Wasser.
Der Sterntaucher gehört zu den Kurz- bis Langstreckenziehern mit zirkumpolarer Verbreitung von Europa, über Asien bis nach Nordamerika. Zur Mauser oder zur Überwinterung kommen die in Skandinavien, Nordrussland, Spitzbergen und Grönland brütenden Vögel in die Meeresgebiete der Nord- und Ostsee. Bis zu 20 Prozent des Europäischen Winterbestandes finden sich in der Deutschen Nordsee ein, was dieses Meeresgebiet zu einem international wichtigen Rastgebiet macht. Die Fragmentierung und Verkleinerung der Lebensräume durch menschliche Aktivitäten stellt hier eine schwerwiegende Belastung für den Sterntaucher dar – allen voran der zunehmende Ausbau der Offshore-Windkraft in den letzten zehn Jahren.
„Der intensive Ausbau der Offshore-Windkraft stellt eine starke Bedrohung für den Sterntaucher dar, da er die Windparkareale weiträumig meidet.“ sagt Dr. Veit Hennig, 1. Vorsitzender des Vereins Jordsand und Dozent für Ornithologie und Stadtökologie, Universität Hamburg.
Bei der Ausweisung von Vorranggebieten für Offshore-Windparks gibt es oft Überlappungen mit Verbreitungsgebieten von küstennah vorkommenden Seevogelarten wie dem Sterntaucher und auch dem Prachttaucher (Gavia arctica), da wichtige Lebensräume an bestimmte Kriterien wie eine geringe Wassertiefe und damit optimale Jagdbedingungen gebunden sind. Der Sterntaucher kommt genau in diesen Meeresbereichen während der Überwinterung vor, der scheue Vogel reagiert aber gleichwohl sehr empfindlich auf Störungen. Neueste Studien zeigen Meide-Radien gegenüber Offshore-Windparkgebieten von über 10 km. Daher führt der Ausbau von Offshore-Windparks – auch in Kombination mit erhöhtem Schiffsverkehr – zu Habitatverlust, Habitatverkleinerung und Habitatverschiebung. Weitere Studien, die einen Langzeitdatensatz zur Verbreitung dieser Art in den deutschen Überwinterungsgebieten in der Nordsee analysiert haben, zeigen eine deutliche Verbreitungsverschiebung von vorher großflächigen zu erheblich kleineren Gebieten, die sich zwischen den Windparkgebieten konzentrieren. Diese erhöhte Akkumulation in kleineren Gebieten führt zu erhöhten Stressbelastungen durch Konkurrenz um Lebensraum und Nahrung.
„Besonders im Bereich westlich von Sylt finden sich hohe Sterntaucher-Vorkommen, weswegen das Vogelschutzgebiet „Östliche Deutsche Bucht“ und ein sogenanntes Seetaucher-Hauptkonzentrationsgebiet im Jahre 2009 ausgewiesen wurde. Betrachtet man hier den Zeitraum 2013 bis 2017, also einen Zeitraum, in dem der Ausbau der Offshore-Windkraft vermehrt stattgefunden hat, dann zeigt sich ein abnehmender Populationstrend und eine starke Verschiebung des Verbreitungsschwerpunktes.“ (Dr. Birgit Kleinschmidt & Prof. Dr. Petra Quillfeldt, Justus-Liebig-Universität Gießen)
Der Sterntaucher wird in der Roten Liste wandernder Vogelarten Deutschlands als stark gefährdet gelistet. Er wird durch mehrere Konventionen geschützt und gehört zu den sieben Seevogelarten, die in der Europäischen Vogelschutzrichtlinie besonders geschützt sind. Die Mitgliederstaaten sind verantwortlich, entsprechende Schutzmaßnahmen zu erstellen und dabei Schutzgebiete auszuweisen, welche zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten sind, um eine ausreichende Vielfalt und Größe der Lebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen.
Neben dem Sterntaucher zeigen auch andere Seevogelarten wie die Trottellumme (Uria aalge) oder der Basstölpel (Morus bassanus) starke Meide-Reaktionen gegenüber Offshore-Windparks.
„Schutzgebiete müssen großräumig freigehalten bleiben, sonst haben wir mit Windparks die Klimakrise ein Stück weit gelöst, aber die Biodiversitätskrise noch massiv verschärft.“ (Prof. Dr. Stefan Garthe, Beirat des Vereins Jordsand und Direktor des Forschungs- und Technologiezentrums Westküste der Universität Kiel)
„Die Windkraft stellt ein wichtiges Element dar, um die Energiewende und die Ausbauziele der Bundesregierung voranzutreiben, bedeutet gleichzeitig aber auch einen massiven Eingriff in marine Ökosysteme. Der Verein Jordsand fordert den Ausbau der erneuerbaren Energieform mit Bedacht. Auch Deutschland hat das UN-Abkommen vom 4.3.2023 zum Schutz der hohen See einhellig begrüßt. Bedingungslose Schutzgebiete müssen in einem maximalen Verhältnis zu Bereichen mit Offshore Windkraft festgelegt werden. Deutschland muss in der Allianz für den internationalen Meeresschutz genau jetzt ein Verantwortungsbewusstsein zeigen, das Vorzeigecharakter hat.“ (Dr. Veit Hennig)
An der Ostseeküste stellt die Stellnetzfischerei eine weitere Bedrohung des Sterntauchers und ähnlicher Vogelarten dar, da diese darin als Beifang enden – und das in noch völlig unbekannter Dimension, da keine Verluste dieser Arten in Stellnetzen gemeldet werden. Auch hier ist ein Umdenken dringend notwendig. Die freiwilligen Einschränkungen der Fischerei reichen für die stark bedrohten Arten nicht aus, um die Bestände nicht zusätzlich zu gefährden.
Zum Seevogel des Jahres kürt der Verein Jordsand seit 2014 jährlich eine Vogelart, die stellvertretend für eine akute Problematik steht, die besonders bedrohlich für eine Artengemeinschaft oder einen Lebensraum ist.
Seit 116 Jahren hat sich der Verein Jordsand dem Schutz von Seevögeln an unseren Küsten verschrieben. Er betreut rund 20 Schutzgebiete vorwiegend an Nord- und Ostsee, von Helgoland über das nordfriesische und hamburgische Wattenmeer, die Unterelbe, bis zur schleswig-holsteinischen und vorpommerschen Ostseeküste rund um Rügen.